Die Bildung gerät in Bewegung, Schulen öffnen sich, suchen nach einem eigenen Profil und nach Kooperationsmöglichkeiten. Externe Unterstützung ist erwünscht.
Die Sekretärin der Viersener Realschule an der Josefskirche macht eine vielsagende Handbewegung. Sie zeigt hin zur zentralen Ablage „P“. Dort nämlich, im zusätzlich aufgestellten Papierkorb, landen all die schönen und bunten und leider oft viel zu werblich angelegten „Unterrichtsmaterialien“, mit denen Unternehmen, Verbände und sonstige Organisationen und Institutionen heutzutage die Schulen in Deutschland beschicken.
Der Schulleiter ergänzt mit einem entschuldigenden Blick, dass es wirklich zu einer Schwemme gekommen sei in den letzten Jahren. „Das können wir gar nichtalles sichten.“
Das Lehrerkollegium des Stuttgarter Ferdinand-Porsche-Gymnasiums stand vor der gleichen Frage: Was tun mit all den Broschüren, Flyern, Wettbewerbsaufrufen, Kopiervorlagen, Videos, CDs und sonstigen Lernhilfen, die der Hausmeister Tag für Tag ins Lehrerzimmer schleppt.„Da sind ja doch viele spannende Sachen dabei“, berichtet Geographie-Lehrer Karlheinz Schaible. Also wird sortiert: Die Wettbewerbe werden in einem zentral zugänglichen Ordner abgeheftet. Die Materialien kommen in die Fächer der Fachlehrer. Und sorgen allerdings nun dort, wirft eine Englischlehrerin sogleich ein, „für Verstopfung“.
Helmut Schorlemmer, der Sponsoring-Beauftragte des LandesNordrhein-Westfalen und Schulleiter am Gymnasium Unna, hat für die Sichtung der Post ganz klare Regeln vorgegeben:„Werbung hat in der Schule nichts zu suchen!“Aber an Wettbewerben und interessanten Kooperationen ist er sehr wohl interessiert. Im Schulfoyer ist das Ergebnis zu bestaunen. Ausgezeichnete Umweltschule in Europa 2002, Gewinner beiJugendhilft2003,Unesco-Schule2004.Preisträger bei Agenda 21 in NRW 2005, Sieger bei Faszination Technik2006.
Bildungslandschaft in Bewegung
Keine Frage: Die Bildungslandschaft in Deutschland ist in Bewegung geraten. Schulen öffnen sich. Sie entwickeln ihr eigenes Profil, legen Schwerpunkte fest, suchen nach Kooperationen. Da ist die Unterstützung von Seiten Dritter sehr wohl erwünscht. Schaut man sich auf den Homepages von Unternehmen und Verbänden um, dann wird deutlich: Die
Zusammenarbeit von Schule und Wirtschaft hat Konjunktur. Da gibt es Unterrichtsmaterialien als kostenlosen Download. Lehrer können sich einloggen und Newsletter abonnieren. Schüler werden gelockt mit Gewinnspielen–und können auch gleich noch ein Online-Bewerbungstraining absolvieren. So viel ist da los auf den virtuellen Seiten, dass Deutschland eigentlich längst Weltmeister sein müsste in Bildung und Qualifikation.
Aber natürlich ist das eine Illusion. Denn leider funktioniert die Vermittlung von Wissen, also das Begreifen und Verstehen, nicht annähernd so schnell wie das Surfen im Internet. Und was die Lehrer betrifft: die vermeintlichen Unterrichtsmaterialien müssen ja nicht nur downgeloaded, sondern auch noch gesichtet und auf ihre Tauglichkeit im jeweiligen Unterrichtsverlauf hin überprüft werden. Was aber sind nützliche Materialien? Was macht „gute“ Projekte aus? Braucht eine Schule überhaupt „Unterrichtsmaterialien“?
Die Entwicklung von Qualitätskriterien für eine effektive und erfolgreiche Kooperation von Schule und Wirtschaft steckt noch in den Kinderschuhen. Fest steht: Die Schulen in Deutschland haben derzeit eine gewaltige Reformarbeit zu schultern. Es geht um nichts weniger als darum, den ganz konkreten Schulalltag für rund zehn Millionen Schülerinnen und Schüler mit vereinten Kräften neu zu organisieren und lernförderlich zu gestalten. In diesem gigantischen Veränderungsprozess wird eine nachhaltige Leistungssteigerung des Bildungsniveaus nur erreichbar sein in einem produktiven Miteinander von Lehrern, Schülern, Eltern und außerschulischen Partnern. Und genau das ist die eigentliche Revolution in der deutschen Bildungslandschaft – immer mehr Schulen nehmen freiwillig und gerne Kontakt mit Menschen auf, deren Lebensmittelpunkt eben nicht die Schule ist.
Dieser Kontakt mit „nahen Fremden“ wirkt außerordentlich stimulierend und befördert das Lernen ganz erheblich. An den Widersprüchen und Ungereimtheiten zwischen den Personen „drinnen“ und „draußen“ reibt sich der junge Geist. Millionenfach, bestätigen die Hirnforscher, werden dabei Synapsen neu verknüpft. Lernen, Erfahren und Erlebenfließen ineinander. Das Gehirn jubelt. Es gibt etwas „Echtes“ zum Überprüfen, Sortieren, Auswählen, Vergleichen.
Bezug zur Lebenswirklichkeit
Was den Schulen und damit den Schülerinnen und Schülern im herkömmlichen Schulalltag vor allem fehlt, ist der Bezug zur Lebenswirklichkeit. Hier kann eine wirkungsvolle Verzahnung von schulischem und außerschulischem Lernen wahre Wunder wirken. Aber diese Verzahnung funktioniert nicht virtuell. Vielmehr sind echte Menschen aus dem realen Leben gefragt, die im Rahmen von langfristig angelegten Projekten und Partnerschaften als außerschulische Gesprächspartner zur Verfügung stehen. Nichts begeistert die Kids mehr als solche leibhaftigen Repräsentanten der Wirklichkeit.
Was haben die Unternehmen und Verbände, Organisationen und Institutionen davon, wenn sie sich mit diesem Verständnis im Schulbereich engagieren? Sie können sich auf spannende Fragen gefasst machen. Denn in einer konkreten Begegnung wollen die Schülerinnen und Schüler wissen, was genau ihr Gast in seinem Unternehmen, in seiner Organisation eigentlich den ganzen so Tag macht, wofür er da ist, warum seine Arbeit wichtig ist, wofür seine Produkte taugen, was sie zum Gelingen des gemeinsamen Lebens auf dieser Welt beitragen.
Jede Branche und natürlich auch jedes einzelne Unternehmen kann in solchen Begegnungen mit jungen Menschen überprüfen, ob die eigene Positionierung am Markt und im gesellschaftlichen Umfeld glaubwürdig verankert ist und nachhaltig trägt. Unternehmen bekommen sogar Hinweise, in welcher Richtung sie innovativ oder auch präventiv nachsteuern sollten. Und in dieser Rückmeldung liegt für Unternehmen oder Organisationen der wirkliche Charme einer erfolgreichen Kooperation mit Schulen.
Achim Kühne-Henrichs